Floros Brief

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Im einundfünfzigsten Jahr des Wolfes in der zweihundertachtundachtzigsten Dekadekade des Herzens im Großen Tempel zu Tarkan im Lande der Göttin.

In Namen der Hohen Herrin Fardea grüße ich Dich, guter Bruder Asboreas. Von schlimmen Dingen muß ich Dir berichten. Darum wappne dein Herz gegen die schrecklichen Geschehnisse, die ich nun schildern werde. Großes Leid geschah vor wenigen Monaten hier in Tarkan. Mehrere kleine Dörfer im Umfeld des Tarkanischen Steinkreises wurden von Widernatürlichkeiten heimgesucht, die zu beschreiben es mir schwer fällt. Dunkle Nebelschleier stiegen des Nachts aus dem Boden hervor und verdeckten die Sicht auf etwas inmitten der Schwärze. Was es genau war, konnte man nicht feststellen. Mehrfach brach der Heilige Hohepriester Ilithien mit mehreren Druiden zu den Begebenheiten auf, um dem Grauen entgegenzuwirken, doch jedesmal, wenn er und seine Begleitung dem rätselhaften Geschehen nahe kamen, verschwand es.

Viele Tote lagen in den Dörfern verstreut, wie von wilden Bestien gerissen. Schrecklich war es anzusehen, wie die Toten mit vor Angst geweiteten Augen in die Leere starten, ihre Körper vom Hals bis zu den Lenden aufgeschlitzt, die Eingeweide über den Boden verstreut. Ob Mann oder Frau, Greis oder Kind, niemand wurde von der uns unsichtbaren und unbekannten Macht verschont. Haben wir so große Sünden an der Herrin begangen, das Tenebra uns so schlagen würde? Wurde etwas falsch gemacht in den letzten Jahren?

So golden, erfüllt und voller Frohmut waren doch die Jahrzehnte, seit Ilithien der Herzträger und oberster Hohepriester wurde. Unter seiner Führung war der Glaube der Göttin gesprossen wie nie zuvor. Seine Macht der Heilung, des Verständnisses und der Reinheit und Erkenntnis der Dinge ist allgegenwärtig in all den Landen, ob Tarkan, Beharith, Ravilien, den westlichen Barbarenländern der Farnauen, der Herkelasen, der Kyrkanen und Sturgen. Selbst die Zwerge der Solud-Höhen lauschen seinen Worten. Was, um der Göttin Willen, ist fehl gegangen, daß diese Strafe uns traf? Doch es sollte noch schlimmer kommen.

Vor sechzig Tagen wurde erneut vom Nebel berichtet, der im Dorf Asral und auch im Dorf Sarked aufgetaucht wäre. Beide Dörfer lagen in entgegengesetzter Richtung vom Tarkanischen Steinkreis und dem Tempelberg entfernt, so daß sich der Erste Hohepriester zuerst zum näher gelegenen Asral wandte, um dort den Bewohnern zu Hilfe zu kommen. Danach wollte er sich sputen, auch die Sarkedleute zu erretten. Noch während Ilithien auf dem Weg nach Asral war, kamen weitere Flüchtlinge aus Sarked und erflehten den Schutz der Göttin im Tempel für ihre Familien. Die Lebensgefährtin Ilithiens, seine Frau Minira, erhörte die Rufe nach Hilfe und mit der Reinheit und Liebe Fardeas im Herzen ging sie nach Sarked, um mit der Kraft Oriris der Kraft der Todbringerin Tenebra entgegenzutreten. Als schließlich Ilithien nach Sarked kam, schwand der Nebel gerade und nur unirdische Schreie und entsetzliches Wehklagen klangen wie von Ferne nach. Dann war es still und der Nebel war fort. Zurück blieb ein Dorf voller grausam verstümmelter Toter.

Ich selbst war bei der Gruppe von Druiden mit Ilithien dort, und ich sah sein Gesicht, als er seine Frau Minira unter den Toten erblickte. In so vielen möglichen und unmöglichen Situationen habe ich den Ersten Hohepriester stets Fassung und eisenharten Willen bewahren sehen, stets war er das Gefäß und der Wille Fardeas, den kein Wässerchen trüben konnte. In diesem Moment aber war sein Gesicht eine Maske blanken Entsetzens, als wenn sein Verstand das Bild nicht erfassen wollte, das sich ihm bot. Mit einem Schrei auf den Lippen stürzte er zu dem ausgeweideten Leib seiner Frau, kniete neben ihr nieder und barg Miniras Kopf auf seinem Schoß. Von Ferne schien es mir, daß sie wohl noch mit letzter, ersterbender Kraft ein Lebewohl hauchte, bevor die Unterwelt nach ihr griff. Als er sich vom Leichnam seiner Frau erhob, waren seine Augen ins Nichts gerichtet. Er sprach kein Wort mit uns, die wir betreten und voller Trauer in seiner Nähe standen. Ohne uns wahrzunehmen ging er an uns vorbei in Richtung Tempel. Die linke Hand war zur Faust geballt, die rechte umschloß verkrampft das Kristallherz, das auf seiner Brust über der Robe hing. Sein Gesicht war blasser als frisch gefallener Schnee. Wahnsinn, Wut, Trauer, Entsetzen und absoluter Unglaube waren in seinen Augen zu sehen. Niemand von uns wagte es zu diesem Zeitpunkt, ihn festzuhalten oder auch nur anzusprechen. Auch als Druiden der Göttin mußten wir nicht alle göttlichen Entscheidungen verstehen können und diese grausame Tat Tenebras werde ich mein Lebtag nicht begreifen. Ilithien ging in den Wald in Richtung des Tempels zurück. Niemand folgte ihm. Wir mußten doch die Toten begraben. Wie hätten wir wissen können, was noch geschehen würde? Jeden Abend nach der furchtbaren Entdeckung in Sarked beteten wir zu Fardea und Tenebra, auf daß sie uns Erkenntnis bringen würden. Wir wünschten uns so sehr, unsere Verfehlung zu erkennen, wegen derer wir den Tod so vieler unglücklicher Gläubiger mit ansehen mußten. Doch die Göttin und ihre Herrin des Todes blieben stumm.

Jeden Abend stand Ilithien inmitten des Steinkreises von Tarkan und rief mit lauter Stimme fordernd nach der Göttin. Seine Stimme war voller Wut und voller Trauer. Der Verlust schien ihn blind gemacht zu haben in seiner Anmaßung der Göttin gegenüber. Tränen liefen ihm über das Gesicht, während er Fardea anrief. „Warum hast du sie mir genommen, Göttin, wo ich dir all die Jahre so treu gedient habe? Ich war dein Wille und dein Arm. Das Herz nimmt mir langsam mein Leben, und doch diene ich dir mit meiner ganzen Seele. Gib mir meine Frau wieder!“ So hörte ich ihn rufen und erbleichte und schrie auf bei seiner letzten blasphemischen Arroganz. Das Sakrileg schnürte mir die Kehle zu. So schrecklich der Tod Miniras gewesen war, so war es doch der Wille der Göttin, daß dies geschah. Der Erste Hohepriester Ilithien, der mächtigste Druide Fardeas, der je auf Erden gewandelt war, der Beherrscher des Kristallherzens der Göttin, widersprach in seinem Verlust der wichtigsten Lehre! Ich versuchte mit ihm zu sprechen, doch er achtete nicht auf mich. Am nächsten Tage war er fort. Bruder Aescul erzählte mir, er habe spät nachts Ilithien wiederum im Steinkreis stehen sehen. Dort soll er mit jemandem gesprochen haben, den man nicht sehen konnte. Hatte Fardea doch noch zu ihm gesprochen? Was mag sie ihm gesagt haben, daß er ging und keine Nachricht hinterließ?

Vier Wochen sind seitdem vergangen, und keine Spur ist von ihm gefunden worden. Auch das Kristallherz ist fort. Er muß es mitgenommen haben. Der Nebel tauchte seit dem Tod Miniras nicht wieder auf, als wenn ihr Weg in Tenebras Unterwelt die Göttin besänftigt hätte. Der Raum Ilithiens im Tempel ist leer. Manchmal, wenn ich aus dem Wunsch zu Erkennen heraus in seine Kammer gehe, um zu meditieren, höre ich flüsternde Stimmen wie aus weiter Ferne, kalt und hohl. Sie wirken wie der Nachklang von etwas Bösem, vielleicht geboren aus seinem Zorn und seiner Trauer. Ich weiß es nicht, Bruder Asboreas. Ob Ilithien wohl tot ist? Oder wohin mag er gegangen sein? Die Fünf Hohen Fürsten der Elfen zumindest glauben daran, daß er lebt und sie ihn finden können. Wie es scheint will Fürstin Naaikashinar mit ihrem Volk und verbündeten Zwergen und Menschen ihm folgen. Beten wir für ihren Erfolg. Vielleicht wird er mit der Hilfe seines Volkes wieder zu den Gläubigen zurückfinden! Mir läuft es jetzt noch kalt den Rücken herunter, wenn an seine Wort im Steinkreis denke: „Gib sie mir wieder!“ In was für traurigen Zeiten leben wir, nicht wahr, Bruder? Aber wenn dies unser Schicksal ist, so ist es Fardeas Wille. Halte die Augen offen. Möglicherweise wird der Erste Hohepriester bei dir in Karalan auftauchen. Vielleicht brauchte er nur Abstand zum Tempel in Tarkan und den Geschehnissen hier. Vielleicht wird er dir ja beim Bau des Heiligtums von Karalan helfen. Eine Tempelstadt in Form des Heiligen Rades ist ein großes und wunderbares Geschenk an die Göttin. Wenn Karalan fertig erbaut ist, muß ich dich besuchen, um dieses Wunder selbst zu sehen, bevor Tenebra meine Zeit enden läßt. Bis dahin werde ich beten und helfen im Namen der Göttin, des Rades und auch im Namen Ilithiens, des Ersten Hohepriesters. Geh mit Fardea, Bruder Asboreas! Melde dich, sobald du die Zeit entbehren kannst.

Den Segen der Göttin über dich Floros, Druide der Erde